09. Februar 2024

Die Remigration der algerischen Vertragsarbeiter: Das Ende eines DDR-Experiments

Bild: Midjourney

„Probleme im Produktionsprozess und in der Freizeit“, sexuelle Belästigung und eine Unterschriftensammlung, welche die Ausweisung von Algerien fordert. Zehn Jahre dauerte das Experiment der nordafrikanischen Arbeiter in der DDR, das 1974 seinen Anfang nahm und schließlich glimpflich endete. Proteste aus dem Volk und ein rücknahmewilliges Algerien liefern ein frühes Beispiel für die Möglichkeit der Remigration.

Während im deutschen Sprachgebrauch die Gastarbeiter oft im Mittelpunkt stehen, geraten die zur etwa gleichen Zeit angeworbenen Vertragsarbeiter der DDR oft aus dem Fokus. An den Vertragsarbeitern, die Mitte der Siebziger von Nordafrika kamen und zehn Jahre später wieder nach Hause zurückkehrten, lässt sich jedoch studieren, wie ethnokulturelle Konflikte durch Remigration am besten entschärft werden können. Dabei fallen zur heutigen Zeit frappierende Parallelen auf, die allerdings auch als Blaupause für künftige Rückführungsanstrengungen dienen können.

Das Trugbild von der wirtschaftlichen Migration

Das Abkommen zwischen der DDR und Algerien wurde im Herbst 1973 unterzeichnet und sollte zunächst etwa 500 Algeriern eine vierjährige Arbeitszeit samt Ausbildung ermöglichen. Die Absicht seitens des sozialistischen Staates war der Produktionseinsatz junger Männer, die zwar die Grundschule abgeschlossen, aber noch keine Facharbeiterausbildung haben, um einen Arbeitermangel der damals noch wachsenden Planwirtschaft zu beheben. Algerien, nach dem Krieg gegen Frankreich voller arbeitsloser Männer, sah darin eine Möglichkeit diese ausbilden zu lassen, damit sie nach den vier Jahren zurückkehren und das Land aufbauen könnten. Ein Plan, der an aktuelle Wunschträume erinnert, aber bereits damals zum Scheitern verurteilt war: zu groß waren und sind die ethnokulturellen Barrieren, die sich zu riesigen Problemen auftürmten.

Andere Länder, andere Sitten

Wie die Zeitung „El Moudjahid“ im Dezember 1975 berichtete, sollte das Abkommen dem beiderseitigen Vorteil dienen, wozu das offizielle Organ der Regierungspartei selbstverständlich die – zumindest erhofften – positiven Seiten hervorhob. Ganz konnten die typischen Probleme aber nicht verheimlicht werden: falsche Angaben zur Bildung (viele Vertragsarbeiter konnten weder lesen noch schreiben) oder das weit verbreitete Fernbleiben vom Deutschunterricht werden im Artikel auch erwähnt. Tatsächlich kam es schon im August desselben Jahres zu einem gravierenden Vorfall, als ein Algerier auf dem Volksfest in Erfurt ein deutsches Mädchen sexuell belästigt und gegen ihren Willen geküsst haben soll. Mehrere Anwesende mussten ihr zu Hilfe eilen. Die meist ähnlich gelagerten Vorfälle führten auch im Arbeitsleben zu Problemen, denen die Obrigkeit versuchte Herr zu werden.

„Das ganze sexuelle Problem darf nicht unterschätzt werden“

Ein offizieller Leitfaden des VE Bau- & Reparaturkombinat Erfurt nennt ausdrücklich die völlig andersartige Geschlechterbeziehung des islamischen Volkes und ruft zu besonderer Vorsicht auf: „Das ganze sexuelle Problem darf nicht unterschätzt werden“. Auch wird ein fehlendes Zeitgefühl attestiert (das zu mehr Fehlzeiten am Arbeitsplatz führt) und der Alkoholkonsum thematisiert: „Sie trinken gern Bier, kaum Wein, können aber sehr wenig vertragen. Wenn sie angetrunken sind, fühlen sie sich sehr stark.“ Im Jahr 2024 überkommt einen beim Lesen dieser Worte ein Déjà-vu. Die zahlreichen und tiefgreifenden kulturellen Unterschiede gipfelten in einem Fall in einer Unterschriftenaktion einer Schülerin in der Gemeinde Spergau, die eine Ausweisung der algerischen Arbeiter im angrenzenden Leuna-Werk forderte, weil sie um die Sicherheit des geplanten Lichtmessfestes am 31. Januar 1976 fürchtet.

Das Ende des Experiments: Remigration

Der Unterschriftenaktion waren mehrere Konfrontationen vorausgegangen, unter anderem war von „körperlicher Misshandlung“ und „Belästigung“ durch die fremden Arbeiter die Rede: Einheimische drohten damit, die weitere Zusammenarbeit abzulehnen und gemeinsame Versammlungen zu meiden. Die Vorfälle sind in Akten vom Februar 1976 des Ministerium für Staatssicherheit verzeichnet: „Schlägereien“ und „Arbeiten unter Alkoholeinfluss“ gehören zu den Beschwerden, die im Bericht aufgezählt wurden. Die 117 Unterschriften, zu denen auch die von Lehrern und Mitgliedern des Gemeinderats zählen, werden ebenfalls ins Protokoll aufgenommen. Trotz tatsächlicher Bemühungen von deutscher Seite, den Eigenheiten der Nordafrikaner in sozialistischer Manier entgegenzukommen, sind die Schwierigkeiten zu offensichtlich.

Ein Experiment geht zu Ende

Nach mehr als ein Dutzend Streiks der algerischen Vertragsarbeiter, der größte im Werk „Schwarze Pumpe“ und zehn Jahren des DDR-Experiments wird das Projekt beendet. 1984 werden nicht nur die Verträge nicht mehr verlängert, auch Algerien fordert mittlerweile seine Volksangehörigen zurück. Bemerkenswert sind dabei die Erlebnisberichte der Rückkehrer: in einem Artikel für die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt Hans-Jürgen Rother, dass sehr viele von ihnen die Arbeitsbedingungen in guter Erinnerung haben. Die damalige Remigration konnte also dann doch auf einer positiven Note enden.

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