15. Juli 2023

Wie weiter mit der AfD? – Im Gespräch mit Andreas Lichert
Fotomontage: Filmkunstkollektiv / AfD Hessen

Wie geht es angesichts von kommunalen Wahlsiegen und historischen Umfragewerten mit der AfD weiter? Darüber haben wir unter anderem mit dem Landtagsabgeordneten in Hessen, Andreas Lichert, gesprochen: „Wir befinden uns in einer Aufwärtsspirale, die weitere gute Leute anziehen wird.

Mehr als 13 Millionen Menschen in Deutschland können sich aktuell vorstellen, die AfD zu wählen. Diese Umfragewerte sind historisch – doch was folgt daraus? Welche Chancen und Risiken bergen mögliche Regierungsverantwortungen? Und welche Rolle sollte zukünftig das sogenannte „Vorfeld“ spielen?

Darüber haben wir mit insgesamt vier Vertretern der AfD auf verschiedenen Ebenen gesprochen: Christoph Berndt (Landtagsabgeordneter in Brandenburg), Andreas Lichert (Landtagsabgeordneter in Hessen), Matthias Helferich (Bundestagsabgeordneter) und schließlich Maximilian Krah (Europaabgeordneter). Anbei folgt das Gespräch mit Andreas Lichert.

Sehr geehrter Herr Lichert! Die AfD erlebt derzeit einen ungeahnten Höhenflug – 21 Prozent bundesweit, 34 Prozent in Thüringen, 29 Prozent in Brandenburg und sogar 17 Prozent im westdeutschen Hessen. Welches Gefühl lösen diese Werte bei Ihnen aus?

Natürlich eine gewisse Genugtuung, dass trotz des de facto Medienboykotts (kein Skandal = kein Bericht) und öffentlicher Stigmatisierung immer mehr Bürger uns als einzige Alternative im Parteienspektrum erkennen. Dass wir das „politische Ghetto“ aufbrechen konnten, spürt man aber noch deutlicher an den vielen Mitgliedsanträgen, die derzeit eingehen. Eine Mitgliedschaft ist natürlich viel tragfähiger als eine Umfrage oder ein „Kreuzerl“.

Entscheidend ist aber auch, dass nicht nur die Zustimmung stark wächst, sondern spiegelbildlich die Zahl der Menschen stark abnimmt, die sich gar nicht vorstellen können, AfD zu wählen. Waren dies früher mehr als 80 Prozent bewegen wir uns heute eher in Richtung 50 Prozent. Das bedeutet: Wir haben unser Wählerpotenzial mehr als verdoppelt!

Die Stimmung innerhalb des gesamten rechten Lagers ist angesichts dessen so optimistisch wie schon seit Jahren nicht mehr. Kritische Stimmen warnen jedoch vor einer kopflosen Euphorie und weisen auf vorhandene strukturelle Probleme der Partei hin (Stichwort: Personalmangel). Wie berechtigt ist das?

In der Tat: „Hochmut kommt vor dem Fall!“ Und wir dürfen nicht vergessen, dass unsere wichtigsten Wahlkampfunterstützer die Protagonisten des „RumgeAMPELs“ in Berlin sind.

Bei der Personalfrage geht es natürlich nicht nur um Quantität, sondern vor allem Qualität. Die Zeiten, als eine flotte Rede und ein schicker Anzug reichten, um auf die Kandidatenliste zu kommen, sind Gott sei Dank vorbei. Unsere heutigen Kandidaten und Mandatsträger sind überwiegend langjährige und politisch belastbare Mitglieder, sodass die Egomanen – die nach verlorenen Wahlen oder Abstimmungen plötzlich entdecken, von Extremisten umgeben zu sein und austreten – der Vergangenheit angehören.

Zukünftige Fraktionen werden deutlich stabiler und in sich gefestigter sein, sodass die Effektivität unserer politischen Arbeit weiter steigen wird. Ich denke, wir befinden uns daher in einer Aufwärtsspirale, die weitere gute Leute anziehen wird.

Neben den Umfragewerten konnte man zuletzt Wahlerfolge in Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz bejubeln. Welche Chancen und Risiken birgt diese Regierungsverantwortung auf kommunaler Ebene?

Die Verwaltungen und Behörden, auf die sich AfD-Landräte und Bürgermeister stützen müssen, sind zumeist mit Altparteienmitgliedern durchsetzt, insbesondere unter den Führungskräften. Deren berufliches Fortkommen hängt oft vom Wohlwollen der Partei ab, sodass diese Personen natürlich größtes Interesse an einem AfD-Misserfolg im Amt haben. Es wird daher sehr schwer für AfD-Amtsträger, nachhaltig erfolgreich zu sein, solange man „gegen das eigene Haus“ arbeiten muss.

Die große Chance liegt meines Erachtens darin, dass durch vielfältige direkte Kontakte zu Bürgern und Unternehmen das Zerrbild vom „AfD-Wutbürger im Amt“ endgültig unhaltbar wird und das für die Bürger – trotz der Hysterie des politisch-medialen Raums – zur Normalität wird.

Der Höhenflug rechter Kräfte trifft auf eine „Konvergenz der Krisen“ – insbesondere die verheerenden Folgen des Bevölkerungsaustausches werden Woche für Woche auf erschreckende Weise sichtbar. Wie kann die AfD dieses Zeitfenster optimal nutzen? Welche Fehler gilt es zu vermeiden?

Wichtig sind das Verständnis und die Kommunikation, dass diese multiplen Krisen nicht vom Himmel gefallen, sondern Folgen konkreter politischer Fehlentscheidungen oder sogar gewollt sind. Eklatant zeigt sich das in der Migrationskrise, denn jeder Tag offener Grenzen Deutschlands ist ein Tag des Grundgesetz- (Art. 16a GG) und Rechtsbruchs (Art. 18 Abs. 2 AsylG). Durch diesen fatalen Fehlanreiz werden jegliche Versuche einer „europäischen Lösung“ konterkariert. Würde Deutschland wieder geltendes Recht anwenden, hätten wir in wenigen Monaten tatsächlich die vielbesungene „Festung Europa“, da die Transitländer die Migranten nicht mehr durchwinken würden.

Ein potenzieller Fehler wäre es, darauf zu vertrauen, dass dies hinreichend viele Wähler empört. Zu viele glauben aufgrund der hypermoralischen Indoktrination, dass es irgendwie okay, Rechtsbruch also legitim sei, solange es doch um eine „gute Sache“ gehe.

Um der nationalen Selbstentmündigung entgegenzutreten, müssen wir noch besser darstellen, dass der souveräne Nationalstaat keine Frage des politischen Geschmacks, sondern geradezu das Lebenselixier für alle Demokraten und Freiheitsliebende ist. Der Dreiklang aus Demokratieprinzip, Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit ist nämlich durch den modernen Nationalstaat mit Abstand am besten verwirklicht.

Die verschiedenen supranationalen Organisationen wie EU und UN sind demgegenüber ein großer Rückschritt und wahrscheinlich ist es daher kein Zufall, dass genau von deren Befürwortern die Dämonisierung der Nationalstaaten betrieben wird.

21 Prozent bundesweit bedeuten fast 13 Millionen potenzielle AfD-Wähler – wie kann man diese Menschen als Partei bereits jetzt abholen, an sich binden und für den politischen Wettbewerb einsetzen? Welche Rolle könnte hier das sogenannte „Vorfeld“ spielen? 

Ich denke, dass im Zuge des Erwachsenwerdens der AfD auch das Verhältnis zum „Vorfeld“ reifer wird. Viele in der AfD, auch exponierte Spitzenvertreter, glaubten viel zu lange, dass die Diffamierung mit der Extremismus-Keule ein tragisches Missverständnis sei und man unsere politischen Gegner durch Wohlverhalten zu einem offenen, vielleicht sogar fairen politischen Wettbewerb bringen könnte. Da war das „Vorfeld“ aufgrund langjähriger Erfahrung und metapolitischer Grundierung natürlich schon viel weiter.

Die Vorwürfe gegen EinProzent, das IfS und die AfD, inklusive der Jungen Alternative, sind im Kern identisch. So verfolge man vermeintlich einen ethnischen Volksbegriff, der bei entsprechender Ausgestaltung des Staatsbürgerschaftsrechts einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellen könnte. Interessanterweise schreibt der Verfassungsschutz aber im Falle der AfD stets vom „ethnischen Volksbegriff“, beim „Vorfeld“ aber vom Ethnopluralismus. Bereitet das den Weg für eine neue „Grenzziehung“ innerhalb des rechten Lagers?

Da pauschale Distanzierungen in jeder Hinsicht kontraproduktiv sind, wird die größere Offenheit der AfD gegenüber alternativen Medien, Denkfabriken und aktivistischen Initiativen eine große Bereicherung für die Partei sein und umgekehrt werden durch die AfD auch viele Mitglieder und Anhänger an ein freiheitliches und konservatives Ökosystem herangeführt, das viele für kaum denkbar hielten.

Immer häufiger spricht man innerhalb der AfD von der Notwendigkeit der „Unterstützung des Vorfeldes“. Gibt es hier aus Ihrer Sicht noch Luft nach oben? Welche Initiativen und welche Infrastruktur braucht es, damit diese Forderung nicht zur Floskel verkommt?

Das parteiinterne Regelwerk, insbesondere die Unvereinbarkeitsliste (UVL), ist überarbeitungsbedürftig. Allerdings war die Idee der UVL grundsätzlich vernünftig, nämlich durch die Abstützung auf den Verfassungsschutz einen belastbaren externen Maßstab für die Abgrenzung von echten Extremisten zu haben. Es galt noch die Fiktion von der neutralen Sicherheitsbehörde.

Die atemberaubende politische Instrumentalisierung des sogenannten Verfassungsschutzes – genau deswegen auch das „sogenannte“ – war vor acht Jahren noch nicht absehbar, ist heute jedoch mit Händen zu greifen. Rein formal ist daher die AfD durch die Diffamierung des Verfassungsschutzes mit sich selbst unvereinbar und das kann wohl kaum sinnvoll sein.

An die Stelle einer pauschalen Übernahme der VS-Bewertung muss meines Erachtens eine eigene, ernsthafte Auseinandersetzung mit Personen, Organisationen und Inhalten des Vorfeldes treten, sodass wir aus eigener Anschauung die Spreu vom Weizen trennen können. Dies könnte zum Beispiel durch eine beim Bundesvorstand angegliederte Arbeitsgruppe geschehen. Ich vermute stark, dass die Personen und Kompetenz, die im Zuge der gerichtlichen Auseinandersetzungen aufgebaut wurden, nach deren Ende in ein solches Gremium eingebracht werden.

Abschließend: Ihre Botschaft an unsere Leser? Warum lohnt es sich gerade jetzt, sich mehr denn je für die Zukunft unseres Volkes einzusetzen?

Volk und Nation, verfasst in modernen Nationalstaaten, sind keine Relikte vergangener Zeiten, sondern unsere Lebensversicherung in der multipolaren, krisengeschüttelten Welt. Das erkennen – bei aller Unterschiedlichkeit – immer mehr Freiheitliche, Konservative und Libertäre. Dadurch wird das Ökosystem rechts des Mainstreams immer vielfältiger, wird weiter wachsen und sich ausdifferenzieren.

Dadurch wachsen auch die Möglichkeiten zum Mitgestalten, seien sie publizistisch, aktivistisch oder auch (partei-)politisch, sodass fast jeder „sein Format“ und „seine Organisation“ finden kann. Und JETZT ist immer der richtige Zeitpunkt, denn Politik ist einfach viel zu wichtig, um sie Politikern zu überlassen!

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