13. November 2023

Massenproteste und Mordanschlag: Spanien vor dem Bürgerkrieg?
Fotos: Jorge / Montage: Heimatkurier

Seit Tagen sind in Spanien hunderttausende Menschen auf der Straße. Immer wieder kommt es dabei zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Gemüter sind erhitzt, nicht zuletzt aufgrund des Mordanschlags auf den Gründer der rechten Vox. Doch worum geht es? Warum sprechen Teile des spanischen Volkes davon, dass die Einheit ihres Landes auf dem Spiel steht? Gastautor Marvin Mergard beantwortet diese Fragen für den Heimatkurier.

Ein Beitrag von Marvin Mergard

Die Bilder aus Spanien in den letzten Tagen sind drastisch. Die Spanier gehen im ganzen Land auf die Straße und immer häufiger eskalieren die Proteste. Vor wenigen Tagen wurde schließlich der Mitbegründer der rechten Partei Vox, Alejo Vidal-Quadras, in Madrid niedergeschossen. Wenn auch das Tatmotiv bisher ungeklärt ist, ist ein politischer Hintergrund aufgrund der aktuellen Spannungen denkbar. Doch warum ist das so? Warum sprechen Teile des spanischen Volkes davon, dass die Einheit ihres Landes auf dem Spiel steht?

Zusatz – 13.11.2023: Mittlerweile gibt es Hinweise, dass hinter dem Anschlag iranische Kräfte stecken könnten. Vidal-Quadras hatte in der Vergangenheit mehrfach iranische Oppositionelle vertreten.

Der historische Konflikt

In Spanien tobt ein erneuter Kampf, der bereits in langer, aber auch in naher Vergangenheit immer wieder aufflammte. Auf der einen Seite stehen die eher linksgerichteten, progressiven Kräfte, die nicht selten mit regionalistischen oder sogar separatistischen Akteure zusammenarbeiten. Auf der anderen Seite steht das eher rechtsgerichtete, nationalorientierte Spanien. Geprägt durch Katholizismus, Tradition und den Wunsch nach nationaler Einheit.

Auf dieser Grundlage wurden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts Kämpfe ausgetragen, wie dies vor allem anhand des Spanischen Bürgerkriegs ersichtlich wird. Die darin ausgetragenen Konflikte führten zu Akten der Gewalt, die beide Seiten der jeweils anderen vorhalten und auch heutzutage ihre politische sowie gesellschaftliche Wirkkraft haben. Der darauf aufbauende katalanische Regionalismus wird in einer Art katalanisch-separatistischer Nationalismus von links gegen den als eher rechts aufgefassten, spanischen Nationalismus aufgeladen.

Der heutige Konflikt

Seit dem Bürgerkrieg ist viel Zeit vergangen, doch die Spaltung der Bevölkerung ist weiterhin greifbar. Die katalanischen Separatisten führten 2017 ein von der spanischen Regierung nicht anerkanntes Unabhängigkeitsreferendum durch, was bis dato den Höhepunkt der Katalonien-Krise bildete. Im Zuge dieser Krise konnte sich die nationalkonservative Vox rechts der konservativen Partido Popular etablieren, die insbesondere die Einheit des spanischen Staats und die Absage an alle separatistischen Umtriebe in den Vordergrund ihrer politischen Forderungen stellte.

Seitdem hatte sich die Lage etwas entspannt – doch nun droht die Krise erneut das Land vor die Probe zu stellen. Nach der spanischen Parlamentswahl im Juli dieses Jahres konnten sich sowohl das Lager links als auch das Lager rechts der Mitte keine Mehrheit sichern. Es war klar, dass entweder eine Mehrheit mit Teilen der separatistischen und regionalistischen Parteien gefunden werden müsste, oder es andernfalls zu einer Neuwahl des Parlaments kommen würde. Eine große Koalition aus Christdemokraten und Sozialdemokraten ist in Spanien eine undenkbare politische Konstellation.

Auch wenn der langjährige sozialdemokratische Ministerpräsident Pedro Sánchez mit seiner Partei und dem linken Wahlbündnis nur Platz zwei beziehungsweise Platz vier der Wählerstimmen erreichen konnten, ist die Bereitschaft der regionalistischen und separatistischen Parteien, mit den Kräften links der Mitte zusammenzuarbeiten, größer. Daher war die zu erwartende Mehrheit, wenn sie denn gefunden werden könnte, dort zu erwarten. Und dies scheint Pedro Sánchez nun gelungen zu sein.

Die Linken und die Separatisten

Die Sozialdemokraten konnten nach der Wahl sehen, dass die Umfragewerte der konservativen Konkurrenz anstieg. Da somit eine Neuwahl sehr wahrscheinlich zu einer Koalition zwischen der PP und der Vox geführt hätte, war es für Pedro Sánchez und seinen Machterhalt essentiell eine Regierung zu bilden – selbst wenn das nur mit Zugeständnissen an katalanische Separatisten möglich sein sollte.

Eine Kernforderung, die für die Unterstützung durch die Separatistenpartei Junts sorgen sollte, ist die Amnestie für verurteilte katalanische Separatisten. Dieser Forderung scheint Pedro Sánchez nachkommen zu wollen. Das sorgt für jene Aufregung, die sich nun auf den Straßen in Form von Demonstrationen und Ausschreitungen ausdrückt. Die Befürchtung ist, dass am Ende die Regierung auf die Junts angewiesen sein wird und diese den Druck für ein erneutes, dieses Mal anerkanntes Unabhängigkeitsreferendum nutzen könnte.

Eine spanische Zukunft?

Sollte durch die neue Regierung die Katalonien-Krise ein erneutes Hoch erleben, könnte dies die Einheit der spanischen Nation gefährden. Da diese Gefahr nicht nur abstrakt ist, sondern politische Realität werden könnte, sind die aktuellen Proteste nachvollziehbar. Die Proteste werden auch nicht nur von einer kleinen Minderheit getragen, sondern neben der Vox und nationalen Kräften, auch von der PP angeführt.

Spanien steht somit an einem Scheideweg: Wird die spanische Nation in seiner Einheit bestehen bleiben? Oder wird die neue Regierung von Pedro Sánchez als Sargnagel für das spanische Fortbestehen in die Geschichte eingehen? Und weiter gedacht: Werden die nationalen Kräfte den Untergang ihres Landes zulassen oder ist der aktuelle Protest nur der Auftakt zu mehr – zu einem erneuten spanischen Bürgerkrieg?

Marvin Mergard, Jahrgang 1994, betreibt den Blog Vera Europa. Dort setzt er sich mit der politischen Rechten in Europa und der europapolitischen Lage aus rechter Perspektive auseinander.

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