26. März 2024

Terror in Moskau: Darum steht Russland im Visier des Islamischen Staates

Bildmontage: Heimatkurier / Putin: Kremlin.ru, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons / Islamisten: Midjourney / Hintergrund: Mosreg.ru, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons

Gestern Abend bestätigte Wladimir Putin, dass es sich bei den Moskauer Attentätern um islamistische Terroristen handelt. Warum das keine Überraschung ist und Russland zunehmend ins Visier von Islamisten rückt, zeigt ein Blick auf die Entwicklung der Gruppe „Islamischer Staat Khorasan Provinz“ (ISKP), die sich zum Anschlag bekannt hat. Heimatkurier-Chefredakteur Philipp Huemer liefert einen Überblick.

Ein Beitrag von Philipp Huemer

Zahlreiche Spekulationen begleiteten den Terroranschlag auf die Crocus City Hall in Moskau, bei dem 137 Menschen ums Leben kamen und weitere 182 verletzt wurden. Besonders regierungsnahe Kreise aus Russland waren anfangs eifrig bemüht, die durch Bekennerschreiben gestützte Theorie eines islamistischen Terroranschlages möglichst zu zerstreuen und stattdessen die Ukraine oder „den Westen“ zu beschuldigen. Das gipfelte in der Behauptung, die Attentäter hätten slawische Gesichtszüge und lediglich angeklebte Bärte getragen – eine steile These, die sich spätestens mit der Veröffentlichung der Fotos der verhafteten Tatverdächtigen in Luft auflöste.

Anschlag ist keine Überraschung

Nun bestätigte gestern Abend auch der russische Präsident Wladimir Putin, dass es sich bei den Attentätern um islamistische Terroristen handelt – natürlich nicht, ohne weiterhin Spekulationen über eine mögliche Beteiligung der Ukraine beziehungsweise des Westens zu nähren. Kein Wunder, denn ein solcher Anschlag in der Hauptstadt zeugt von einem massiven Sicherheitsproblem und stellt das Bild eines sicheren und gegen terroristische Gefahren gefeiten Russlands infrage. Doch tatsächlich kommt der Anschlag keineswegs so überraschend, wie viele – darunter auch ich – geglaubt haben. Das zeigt ein Blick auf die verantwortliche Gruppierung – den „Islamischen Staat Khorasan Provinz“ (ISKP).

Regionaler Ableger in Afghanistan

Der ISKP gilt als regionaler Ableger des Islamischen Staates im südlichen Zentralasien mit engen Verbindungen zu Pakistan. Bis zur Machtübernahme der Taliban war die Gruppe vor allem in Afghanistan aktiv. Seither vergrößerte man schrittweise das Operationsgebiet und konnte in den benachbarten zentralasiatischen Republiken wie Tadschikistan und Usbekistan zahlreiche Kämpfer rekrutieren. So bestätigte das afghanische Außenministerium, dass bei Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften der Taliban im Jahr 2023 neben Pakistanern auch dutzende Tadschiken getötet wurden.

Zahlreiche Anschläge geplant

Spätestens seit dem Jahr 2022 zeigt man sich für zahlreiche Anschläge oder entsprechende Pläne verantwortlich: im April 2022 tötete ein Usbeke einen iranischen Kleriker im Imām-Reza-Schrein. Der ISKP bekannte sich zwar nicht zur Attacke, lobte diese aber. Im April und Mai 2022 führten Kämpfer der ISKP von Afghanistan aus Raketenangriffe auf Usbekistan und Tadschikistan durch. Im Juli 2022 wurde ein ranghohes ISKP-Mitglied in der Türkei verhaftet. Ein Jahr später zerschlugen türkische Behörden ein Netzwerk der ISKP, das Anschläge auf Kirchen sowie das schwedische und dänische Konsulat geplant hatten.

91 Tote im Iran

Am 26. Oktober 2022 kam es zu einem bewaffneten Angriff auf einen schiitischen Schrein im Iran, bei dem 13 Menschen getötet wurden. Im August 2023 wurde ein Gemeindemitglied im Sha Ceragh Schrein von einem Terroristen der ISKP getötet. Nur wenige Monate darauf – am 3. Jänner 2024 – folgte der bislang schwerwiegendste Angriff der ISKP: Während einer Zeremonie für den bei einem US-Raketenangriff ums Leben gekommenen General Soleimani im iranischen Kerman sprengten sich zwei Selbstmordattentäter in die Luft. Sie rissen 91 Menschen mit sich in den Tod und verletzten weitere 102.

Europa im Visier des ISKP

Zuvor gerieten auch Ziele in Europa ins Visier der zentralasiatischen Terroristen: Im Dezember 2022 wurden zahlreiche Tadschiken und Usbeken in Österreich und Deutschland verhaftet. Sie sollen in Wien (Stephansdom) und Köln Anschläge geplant haben. Im Juli 2023 wurden in Deutschland und den Niederlanden erneut Angehörige der ISKP wegen Anschlagsplänen verhaftet. Brisant und für den aktuellen Fall durchaus relevant: Sie sollen mit der ersten Welle ukrainischer Flüchtlinge nach Deutschland eingedrungen sein.

Russland im Visier

Wie internationale Experten bereits am 9. Mai 2023 in einem Artikel für das Foreign Policy Magazin schilderten, ist spätestens seit Beginn des Krieges in der Ukraine auch Russland ins Visier der Gruppe gerückt. Der ISKP wirft Russland in seinen Propaganda-Publikationen etwa die Involvierung der Sowjetunion in Afghanistan, die Kriege in Tschetschenien, die aktuellen Beziehungen zu den Taliban sowie die fortwährende Unterstützung von Assad in Syrien vor. Moskaus Hände seien mit dem Blut der Muslime bedeckt, so die islamistischen Propagandisten.

Krieg zwischen „orthodoxen Kreuzfahrern“

Bereits zu Beginn des Krieges bezeichnete der IS die beiden Konfliktparteien als „orthodoxe Kreuzfahrer“, die nun eine gerechte Strafe erhalten würden. Am 3. August 2022 frohlockte der ISKP über den „Proxy-Krieg“ zwischen Amerika und Russland, wie sie den Konflikt bezeichnen: „The war erupting among the kuffar is a great sign from Allah the Almighty. America has beeen a furious enemy of Islam throughout the last century, and Russia has proven no different“

Warnungen an Muslime

Im Oktober 2022 warnten sie Muslime davor, sich an dem Konflikt zu beteiligen. In diesem Sinne richtet ein anonymer Unterstützer aus Europa im April 2023 einen Appell an die am Konflikt beteiligten Muslime – also an die Tschetschenen auf russischer und Tataren auf ukrainischer Seite: sie sollen den Kampf aufgeben, dem Islamischen Staat beitreten und abwarten, bis sich beide Seiten gegenseitig zerstört haben.

Angriff auf russische Botschaft

Doch alleine bei Worten sollte es nicht bleiben: Im September 2022 griff ein Selbstmordattentäter die russische Botschaft in Kabul an und tötete zwei Mitarbeiter sowie vier afghanische Zivilisten. Ein erstes Warnsignal, wie das „Foreign Policy“ damals festhielt: „By instigating jihadists to attack Russia, IS-K is looking to generate momentum, especially at a time when the core Islamic State organization in Syrie is reeling from aggressive U.S. counterterrorism efforts.“

Razzia in Moskau

Auffällig: Noch Anfang März diesen Jahres lieferten sich islamistische Terroristen in der russischen Stadt Karabulak im Nordkaukasus Auseinandersetzungen mit russischen Spezialeinheiten. Sieben Terroristen wurden dabei getötet. Am 6. März soll es zu weiteren mehrstündigen Kämpfen gekommen sein. Einen Tag danach, am 7. März 2024, führte der russische Geheimdienst FSB eine Razzia in einem Vorort von Moskau durch. Dabei wurden zwei Terroristen des ISKP, die eine Attacke auf eine jüdische Synagoge geplant haben sollen, getötet.

Luftschläge gegen den IS

All das zeigt: Der Terroranschlag in Moskau am 23. März kam keinesfalls aus dem Nichts. Seit nunmehr zwei Jahren agitieren islamistische Terroristen offen gegen Russland und haben bereits im September 2022 ein russisches Ziel in Afghanistan angegriffen. Ein Anschlag in Moskau konnte nur zwei Wochen vor dem 22. März noch rechtzeitig verhindert werden. Zudem hat Russlands Luftwaffe alleine im Februar zahlreiche Luftschläge gegen Positionen des Islamischen Staates in Syrien durchgeführt. Manche Beobachter vermuten sogar, dass die Islamisten ohne diese Maßnahmen bereits wieder Gebietsgewinne verzeichnet hätten.

Warnungen der USA passen ins Bild

Vor diesem Kontext wirken die Warnungen der USA Anfang März vor Anschlägen in Russland keineswegs übertrieben. Die Razzia vom 7. März könnte darauf hindeuten, dass sich Russland dieser Bedrohung – zumindest in Teilen – durchaus bewusst war. Dass die Behörden den Anschlag dennoch nicht verhindern konnten, demonstriert, dass Russlands Kapazitäten zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit endlich sind. Diese wurden durch die Abhaltung der Wahlen zusätzlich beansprucht, vom laufenden Krieg in der Ukraine ganz zu schweigen.

Flucht in die Ukraine

Es ist daher nicht überraschend, dass Putin nach wie vor versucht, der Ukraine eine Mitwirkung an dem Attentat zu unterstellen. Der Hinweis auf die Fluchtroute der Terroristen kann dafür aber kaum als Beleg herhalten – wohin sonst hätten die Terroristen fliehen sollen? Estland, Litauen und Finnland führen aufgrund der russischen Migrationswaffe rigorose Grenzkontrollen durch. Weißrussland ist Russlands engster Verbündeter und Richtung Osten wäre man tausende Kilometer in russischem Territorium unterwegs.

Russland ist nicht gefeit

Wesentlich näher an der Realität ist eine Anmerkung von Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums: Sie argumentiert, dass die Interventionen der USA im Nahen Osten zur „Entstehung, Stärkung und Institutionalisierung mehrerer radikaler und terroristischer Gruppen, die auch heute noch in der Region tätig sind“ geführt habe. Die Taliban selbst werfen westlichen Geheimdiensten sowie Pakistan vor, die ISKP als politisches Werkzeug in Afghanistan zu nutzen. Doch wie dem auch sei: Der Anschlag in Moskau zeigt, dass auch Russland nicht gegen den islamistischen Terror gefeit ist. Die demografische Entwicklung in Russland könnte dieser Gefahr in Zukunft noch stärkeren Nährboden bereiten.

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