10. Dezember 2023

Orbánisierung als Vorbild für die europäische Rechte?

Bildkomposition: Heimatkurier / Orban: Midjourney / Ungarische Fahne: Freepik

Die ungarische Kulturrevolution, Stichwort: „Orbánisierung“, wird in der deutschen Rechten aktuell breit rezipiert und diskutiert. Grund dafür ist das im Jungeuropa-Verlag erschienen Buch „Nationaler Block“ des ungarischen Aktivisten Márton Békés. Unser Gastautor des Theorieblogs „Nationale Freiheit“ begrüßt das, mahnt aber auch zur Vorsicht: Ungarn ist nicht Österreich/Deutschland – es gilt, die Unterschiede zu verstehen.

Ein Beitrag des Projektes Nationale Freiheit

Ungarn wird von deutschen Rechten immer wieder als politisches Vorbild angeführt. Der Verleger Götz Kubitschek spricht in dem Zusammenhang sogar von einem „politischen Maximum“. Auch der neurechte Denker und Aktivist Martin Sellner betrachtet in seinem Strategiebuch „Regime Change von rechts“ die Orbanisierung in Ungarn als die Erfüllung der Reconquista-Strategie. Der Fokus auf Ungarn innerhalb der Neuen Rechten wird aktuell durch das neue Jungeuropa-Buch „Nationaler Block“ von Márton Békés intensiviert.

Die Beobachtung von Entwicklungen in anderen Staaten ist weltanschaulich und strategisch selbstverständlich unerlässlich. Ohne Zweifel kann die politische Rechte in Westeuropa sehr viel von Orbáns Strategie und Realpolitik lernen. Dennoch gibt es einige Fehldeutungen in der deutschsprachigen Orbán-Rezeption bzw. werden gewisse Aspekte einfach außer Acht gelassen. Dieser Beitrag hat nicht die Intention die Orbánisierung als Gesamtkonzept zu verwerfen, sondern neue Denkanstöße für die neurechte Ungarnrezeption zu geben.

Zwei Drittel-Mehrheit ist kein realistisches Ziel

Die Fidesz herrscht in Ungarn mittlerweile seit 13 Jahren mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit, obwohl sie bei den letzten Wahlen „nur“ um die 50 Prozent erlangen konnte. Das liegt am ungarischen Wahlsystem, welches eine Kombination aus Mehrheitswahlrecht und Verhältniswahlrecht ist. Nach der ersten Erlangung der Zwei-Drittel-Mehrheit wurde 2011 von der Fidesz eine Wahlrechtsreform durchgepeitscht, bei der das Element des Mehrheitswahlrechts bei gleichzeitiger Verringerung der Parlamentssitze gestärkt wurde. Dadurch konnte die Zwei-Drittel-Mehrheit in Folge von drei weiteren Wahlperioden bis heute aufrechterhalten werden. Da wir weder in Deutschland, noch in Österreich ein derartiges Wahlsystem haben (selbst wenn wir es hätten, würde das niemals zu einer 2/3-Mehrheit irgendeiner Partei führen), sollte man die Orbánisierung zumindest einmal aus parteistrategischer Sicht verwerfen. Alleine die Vorstellung, dass AfD und FPÖ je regieren könnten, ohne auf einen Koalitionspartner angewiesen zu sein, klingt ziemlich illusorisch und weltfremd.

Radikale Rechte trug zum metapolitischen Erfolg bei

Márton Békes hat schon recht, wenn er schreibt, dass die Fidesz nach der Wahlniederlage 2002 erkannt hat, dass Wahlergebnisse nicht der einzige Schlüssel zum Erfolg sind. Da man mit einer dominanten linksliberalen Öffentlichkeit konfrontiert war, konnte die Macht der Fidesz nicht über die nächste Wahlperiode hinaus gesichert werden. So folgte der Aufbau von rechtskonservativen Medien und Kulturprojekten. Neben der rechtskonservativen Opposition erstarkte jedoch auch eine radikal rechte Opposition, die sich ebenso in Netzwerken strukturierte und diverse Projekte gründete. Diese trug auch maßgeblich zur Modifikation der kulturellen Hegemonie bei, stand aber außerhalb des Einflussbereichs Orbáns. Parteipolitisch vertreten wurde die radikale Rechte durch die Jobbik, welche bei den Straßenprotesten gegen den damaligen Premierminister Ferenc Gyurcsány stark mobilisierte und bei der Wahl 2010 mit 16,7 Prozent zum ersten Mal ins Parlament einzog. Auch traten militant rechte Gruppierungen wie zum Beispiel „Betyár sereg“ oder „Magyar gárda“ in den späten 2000er Jahren immer mehr in den Vordergrund (ebenso ohne Fidesz-Einfluss). Die Bedeutung der radikalen Rechten für die Transformation der kulturellen Hegemonie ignoriert Márton Békes in seinem Buch vollständig.

Orbáns großes Glück

Um verstehen zu können, wie die Fidesz so viel parlamentarische Macht akkumulieren konnte, muss man den Weg dahin etwas genauer nachvollziehen – auch Glück spielt dabei eine gewisse Rolle. Ausgangslage: Fidesz und die sozialdemokratische MSZP haben seit den 90ern um die politische Macht in den ungarischen Parlamenten gerungen. Sowohl 2002 als auch 2006 erhielten beide Parteien über 40 Prozent, womit sich Ungarn de facto als Zwei-Parteien-Demokratie herauszukristallisieren begann. Dass diese Tendenz nicht bis heute anhält, ist nicht ausschließlich der strategischen Intelligenz der Fidesz zuzuschreiben. Die sogenannte „Őszöder Rede“, welche die Karten in Ungarn neu mischte, spielte sich nämlich ohne Orbáns Einfluss ab. Worum ging es?

Einige Monate nach den Parlamentswahlen 2006 kam eine geheime, parteiinterne Rede des damaligen sozialdemokratischen Premierministers Ferenc Gyurcsány an die Öffentlichkeit, die das Land in Schockstarre versetzte. Den Tonaufnahmen konnte man entnehmen, dass er zugab die Legislaturperiode zuvor „verschissen“ zu haben und zwar ,“nicht nur ein bisschen, sondern sehr“. Zudem sagte er, dass er als Ministerpräsident die letzten Jahre „jeden Tag von früh bis spät durchgelogen hätte“. Zur Krönung bezeichnete er Ungarn als „Nu**en-Land“. Die Konsequenzen des Bekanntwerdens dieser Tonaufnahme müssen nicht ausführlich behandelt werden.

Die Empörung im Land war monströs und jahrelange Straßenproteste waren die Folge – vor allem da sich der Skandal-Ministerpräsident weigerte, sein Amt abzutreten. Darauf zu hoffen, dass in Österreich oder Deutschland Ähnliches passiert und ein signifikanter Politiker des Establishments sich verbal derartig entblößt, kann kein Teil der rechten Reconquista-Strategie sein, da solche Variablen nicht direkt beeinflussbar sind. Dass die Fidesz auf dieses Ereignis gut reagiert hat und strategisch klug vorgegangen ist, sei jedoch nicht in Abrede gestellt.  

Kulturrevolution großteils post hoc

Die endgültige Manifestation der metapolitischen Macht und einer rechtskonservativen Kulturhegemonie erfolgte in Folge des Wahlsiegs 2010. Massenhafte Umfärbungen im öffentlichen Dienst, noch stärkere Förderung von rechten Medien und die Gründung von konservativen Denkfabriken und Hochschulen erfolgte logischerweise erst nach der parlamentarischen Machtakkumulation der Fidesz. Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit lässt sich so etwas natürlich auch viel einfacher steuern. Im bundesdeutschen und österreichischen Kontext muss uns aber klar sein, dass unsere politische Lage vollkommen anders ist als jene Ungarns gegen Ende der 2000er Jahre. Wir können nicht auf eine entsprechende Mehrheit der rechten Parteien und auf die Unprofessionalität des Gegners setzen, sondern müssen unsere eigenen Voraussetzungen hierzulande in Auge behalten. Und diese sind nun einmal andere als damals in Ungarn. 

Gibt es in Ungarn wirklich keinen Bevölkerungsaustausch?

Festzuhalten ist, dass es in Ungarn jedenfalls keine Ersetzungsmigration gibt. Die Regierung importiert im Gegensatz zu den westeuropäischen Staaten keine fremden Ersetzungsmigranten, die langfristig die ethnokulturelle Homogenität untergraben sollen. Dennoch kann auch das ungarische Volk nicht unbesorgt über ihre Identität sein, da sich die ethnische Zusammensetzung auch im Magyarenland stark verändert. Während die ungarische Gesamtbevölkerung seit 1982 jährlich stets sinkt, steigt der Anteil von Zigeunern rapide an. Prognosen der ungarischen Regierung gehen davon aus, dass sich dieser bis 2050 verdoppeln soll. Das Familienbeihilfemodell in Ungarn sieht zwar vor, eigene Fachkräfte im Land auszubilden anstatt Fremde zu importieren, allerdings wird das Modell überproportional oft von Zigeunern in Anspruch genommen. Natürlich lässt sich der Bevölkerungsaustausch hierzulande mit der ungarischen Situation kaum vergleichen, da Zigeuner in Ungarn seit Jahrhunderten ansässig und nicht gezielt von der Regierung importiert werden. Doch zu denken, dass die Zukunft des ungarischen Volkes ohne Herausforderungen gesichert sei, ist ebenso illusorisch.

Fazit

Orbáns Strategie und Realpolitik muss rezipiert werden und gegebenfalls als Vorbild behandelt werden. Dabei ist die Berücksichtigung der beschriebenen Zusammenhänge notwendig, um die Unterschiede zwischen unseren Ländern in metapolitischer, parteipolitischer und verfassungsrechtlicher Hinsicht zu verstehen. Weiters soll der letzte Punkt darauf aufmerksam machen, dass sich die Bevölkerungszusammensetzung in Ungarn ebenso verändert und wir als deutschsprachige Rechte dies im Hinterkopf behandeln sollen. Wenn wir nicht berücksichtigen, dass AfD und FPÖ wahrscheinlich niemals eine Zwei-Drittel- oder gar eine absolute Mehrheit haben werden und dass die Wahrscheinlichkeit ziemlich gering ist, dass sich ein führender Politiker sich verbal dermaßen entblößt wie Gyurcsány 2006, dann können wir auch keine erfolgreiche Reconquista-Strategie haben.

Der Fall Ungarns zeigt, dass die Rechte in der Lage ist, sich von einer linksliberalen Kulturhegemonie zu lösen und neue Machtstrukturen zu etablieren. Doch der Weg dahin war von anderen Voraussetzungen geprägt als unser Weg sein wird.    

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