„Vor unseren Augen ereignet sich in der politischen Debatte in Österreich gerade eine kleine Revolution. Vielen scheint gar nicht bewusst zu sein, welche Tragweite das derzeitige Geschehen hat“, so der identitäre Publizist Martin Sellner. In seinem Artikel analysiert er die Diskursverschiebung der letzten Wochen erstmals strategisch.
Ein Beitrag von Martin Sellner
Es ist normal, dass liberalkonservative Parteien zu Wahlkampfzeiten rechts blinken um das Wahlvolk zu täuschen. Sebastian Kurz perfektionierte diese Masche, was ihm von der FPÖ den Titel der „Kopiermaschine“ einbrachte. Doch derzeit erleben wir etwas anderes. Wir sehen tektonischen Verschiebung der Politlandschaft in unsere Richtung, will heißen: die FPÖ prescht im „Overtonfenster“ nach rechts, und die „Mitte“ vertreten durch NEOS, ÖVP (und Doskoziö-SPÖ) rückt nach.
Das Austro-Overtonfenster
Konkret zeigt sich das an der Debatte rund um Bezahlkarten, Remigration und Assimilation. Stellen wir uns nach dem Politologen Joesph P. Overton das Meinungsspektrum als ein Fenster vor. Je weiter man in eine Richtung geht, desto schärfere Forderungen findet man vor. Wir können derzeit populäre rechte Positionen folgendermaßen anordnen:
Diese Skizze ist nicht vollständig und man könnte sie um viele Forderungen und Positionen ergänzen. Hier fokussieren wir uns auf wenige Punkte.
Von Eiden und Leitkultur
Leitkultur und Assimilation sind seit langem Kernpositionen der Identitären Bewegung. Durch die Potsdam-Affäre sind sie in diesem Zusammenhang erstmals in die öffentliche Debatte gelangt. Sofort distanzierte sich Olaf Scholz auf X klar von „Fanatikern mit Assimilationsfantasien“.
In Österreich reagierte man anders. Geradezu panisch befürchtete Nehammer in seinem breit beworbenen „Österreichplan“ ein Vereinnahmung der Leitkultur von rechts: „Ich sage euch was, überlassen wir nicht denen, die Hetze und Hass säen, die rechtsextremes Gedankengut verbreiten, den Begriff, die Definition von Leitkultur. Ich stehe zu dem Begriff Leitkultur.“ Dass aus Leitkultur notwendigerweise Assimilation folgt, ließ Nehammer unberührt.
Die Liberalen springen auf den Zug auf
Auch die liberalen NEOS sprangen auf den identitären Leitkulturzug auf. Die Partei wagte einen Vorstoß und forderte einen „Schwur auf Österreich“. Bei Einbürgerungen soll ein Eid auf die Verfassung erfolgen. Bei Eidbruch kann das Passverlust bedeutet. Die ÖVP überbot das rasch: „‚Österreich-Eid‘ von allen Migranten – sofort!“ Jeder Fremde der das Land betritt, soll einen Eid leisten. Laura Sachslehner betonte dazu: „Es lassen sich nicht alle Menschen integrieren, da können wir uns noch so anstrengen.“ Dass solche Eid in der Regel Teil einer Assimilationspolitik sind, ließ sie ebenso im Unklaren, wie die Frage, was mit jenen geschehen soll die „nicht kompatibel mit unserer Gesellschaft sind“.
„Gelungene Integration“
Yannick Shetty von den NEOS legte mit einem 50 Punkte Plan zur Intgegration nach, der „Strafen für Integrations-Unwillige“ vorsieht. Shetty positionierte die NEOS im Overtonfenster klar: „Wir wollen keine Festung Österreich oder Remigration wie andere, sondern stehen für gelungene Integration“. Währenddessen fordert Hans Peter Doskozil von der SPÖ eine „Obergrenze von 10.000 Asylanträgen in Österreich“. Die Idee einer Bezahlkarte für Asylanten wird ebenso von der ÖVP gefordert und von den NEOS in Betracht gezogen. Sie soll „Österreich so unattraktiv wie möglich“ für Illegale machen, so ÖVP-Innenminister Gerhard Karner.
„Wer sich nicht integrieren will, für den hab ich ein Reiseziel“
Was ist hier geschehen? Das Themenfeld rund um scharfe Integrationsmaßnahmen über Asylrechtsumsetzung bis hin zur Forderung nach Assimilation wurde in den letzten Wahlkämpfen primär von der FPÖ besetzt. Man verteidigte es gegen die Vereinnahmung durch die ÖVP und bildete damit den rechten Rand des Diskurses. Mittlerweile sind diese Forderungen so mehrheitsfähig, dass die FPÖ sie kaum mehr explizit vertreten muss. Im Gegenteil, um noch als „rechte Opposition“ erkennbar zu bleiben, muss die FPÖ in ihren Forderungen weiter ausgreifen. Sie positioniert sich klar im Bereich einer radikalen Reform des Asylrechts (der „Festung Österreich“), der Leitkultur und der Remigration. Dabei bleibt „Volkskanzler Kickl“ im Ton sogar verbindlicher als andere Spitzenkandidaten mit weitaus verkürzten Forderungen. Dass nun ÖVP und sogar die NEOS in diese Themenbereiche vorstoßen und mit der Bezahlkarte eine typische Maßnahme der Remigrationspolitik fordern, legt ein „race to the right“ nahe. Doch dabei ergibt sich für Liberalkonservative ein Dilemma.
Leitkultur ist identitär
Denn wer von Leitkultur und Assimilation spricht, endet notwendig bei Remigration und identitärer Einwanderungspolitik. Denn beide unterscheiden sich drastisch von Integration und Multikulturalismus. Letztere sehen den Staat als kulturell neutrales Set aus abstrakten Regeln, in dem beliebig viele gleichrangige Kulturen koexistieren. Als Integriert gilt, wer sich an diese Struktur anpasst, also Steuern zahlt, die Straßenverkehrsordnung beachtet und so weiter. Die Leitkultur bedingt jedoch eine Dominanz der einheimischen, ursprünglichen Kultur. Sie fordert die Assimilation der Neubürger. Diese müssen sich voll und ganz mit einem kulturell aufgeladenen Staat, also mit seinem Volk, Land und der Nationalgeschichte identifizieren.
Wählertäuschung
Hören wir weiter Nehammer zu: „Ich stehe zu dem Begriff Leitkultur. Was drückt er aus? Er ist unsere Identität. Er ist unsere Kultur. Leitkultur im christlich-sozialen Verständnis der Volkspartei, in meinem als Bundeskanzler der Republik Osterreich ist es, dass eine Leitkultur dafür steht, dass es um eine Gesellschaft der Vielfalt geht, des Miteinanders, der Toleranz, des Respekts, des Einander-Zuhörens und der demokratischen Grundwerte in unserer Verfassung.“ Nehammer betreibt hier gekonnte Wählertäuschung und widerspricht sich selbst. Leitkultur kann nicht konkret, sprich „Identität, Kultur und Christentum“ und zugleich nur abstrakt „Werte, Toleranz, Respekt“ sein. Denn diese abstrakte Werte werden in vielen Nationalstaaten verwirklicht. Wenn das allein die österreichische Identität und Leitkultur ausmachen würde, gäbe es keinen Unterschied zur Leitkultur Frankreichs, Finnlands und Koreas. Das führt den Begriff ad absurdum. Nein, Leitkultur bezieht sich auf Tradition, Geschichte, Religion und damit unweigerlich auch auf Herkunft. So versteht das die Mehrheit der Österreicher und genau darauf spielen Nehammer und NEOS an – ohne jedoch die Konsequenzen zu ziehen.
Leitkultur heißt Remigration
Wer von Leitkultur spricht meint Assimilation. Assimilation setzt aber voraus, dass Anzahl und kulturelle Ferne der Neuankömmlinge das Land nicht überfordern. Hier setzt die identitäre Migrationspolitik das Augenmerk nicht nur auf wirtschaftliche Faktoren. Die Kritik der finanziellen Belastung durch Einwanderer ist ebenfalls im Zentrum des Overtonfensters angekommen. Die Frage der kulturellen Belastungsgrenze durch Überforderung bewegt sich gerade in den Fokus. Wer Leitkultur sagt, muss auch davon sprechen, wie viel Ersetzungsmigration und Überfremdung sie maximal verträgt. Er muss anerkennen, dass jede Assimilation das Bestehen einer stabilen, patriotischen, einheimischen Mehrheitsgesellschaft voraussetzt. Die Konsequenzen und Lösungsstrategien beschreibe ich in meinem Buch „Remigration: ein Vorschlag“. FPÖ und Identitäre Bewegung haben diesbezügliche klare, teils unterschiedliche Antworten und Konzepte. ÖVP und NEOS drücken sich bislang um dieses „heiße Eisen“ herum. Da sie aber an der Leitkultur festhalten müssen, um sich von den Grünen und der Babler-SPÖ abzuheben, ebnen sie der identitären Sprache den Weg.
Panikmodus „gegen Rechts“
Verzweifelt versucht die ÖVP, diese innere Widersprüchlichkeit durch die Distinktion „rechts vs. rechtsextrem“ zu überdecken. Zwar hat sie kein Konzept zur Leitkultur, Assimilation und Remigration, doch will sie gerne die Popularität dieser Ideen für sich nutzbar machen. In der Debatte hat sie gegen FPÖ und IBÖ keine Chance. Daher greift sie auf den „Kampf gegen rechts“ zurück. Mit purer Emotion und Panikmache soll Herbert Kickl als „Extremist“ und Nazi gebrandmarkt werden. Die IB wird als Popanz aufgeblasen, um dann im tiefen Schlaglicht der Mainstreammedien die FPÖ zu „überschatten“. „Inhaltlich mag er Recht haben”, so Nehammers Anti-Kickl Strategie, „aber er ist moralisch untragbar“. Damit soll für den verschreckten Wähler am Ende nur die ÖVP übrigbleiben. Die ist zwar für das bisherige Fiasko der Masseneinwanderung, des Multikulturalismus und der Integrationslüge hauptverantwortlich, aber Kickl und die Identitären „gehen eben gar nicht”.
Ein neues Ibiza?
In der ÖVP setzt man daher alles auf eine politische „dirty bomb“ irgendwo zwischen Potsdam und Ibiza. Vermutlich arbeiten Geheimdienste, Krone, Raiffeisenkomplex und weitere schwarze „Player“ bereits seit Herbst an diesem Plan. Zu dieser Strategie wurde bereits ein Heimatkurier-Podcast aufgenommen. Ich selbst habe mich detailliert in dieser Audioanalyse dazu geäußert. Ziel ist es, der FPÖ so zu schaden, dass man einen deutlichen zweiten Platz, als Ausgangsbasis für eine große Koalition erobert. Die ÖVP spielt hier aber ein gefährliches Spiel. Indem sie in das Horn bläst, dessen Ton der Österreicher bisher nur aus dem linken Lager kennt, beschädigt sie ihren Markenkern.
Nehammer ist kein Kurz
Wenn die Krone titelt: „ÖVP-Wahljahr-Auftakt – Nehammer: „Unser Problem sind die Rechtsextremen“, so wird jener Teil der Zielgruppe, der unter Überfremdung, Klimaklebern, Inflation und Ausländerkriminalität leidet, gelinde gesagt, „nicht abgeholt“. Die Strategie von Sebastian Kurz war gänzlich anders. Er „umarmte“ die FPÖ regelrecht und bot sich lediglich als die salonfähige und kompetente „seriösere Alternative“ an. Das wirkte. Wenn Nehammers Ibizataktik versagt, bleibt in den Köpfen der Österreicher nur sein linker „Kampf gegen rechts“ und die normalisierte „Leitkultur“. Gute Aussichten für einen partei- und metapolitischen Erfolg von Rechts.