17. Mai 2023

Die wirklichen Verfassungsfeinde: Wie der liberale Extremismus unseren Staat zerstört
Giebel des Reichstags: RudolfSimon, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons / Fotomontage: Heimatkurier

Die Verfassungsschutz-Beobachtung der Jungen Alternative sowie anderer rechter Akteure hat jüngst hohe Wellen geschlagen. In einem Exklusivbeitrag für den Heimatkurier analysiert der langjährige Anwalt der Identitären Bewegung Deutschland, Gerhard Vierfuß, den Rundumschlag gegen die rechte Opposition – und kommt zu folgendem Schluss: Der liberale Extremismus ist die größte Bedrohung unserer Demokratie.

Ein Beitrag von Gerhard Vierfuß

Wer wissen möchte, woher die größte Gefahr für den deutschen Staat und dessen freiheitliche demokratische Grundordnung kommt, der schaue in den Verfassungsschutzbericht (VSB) des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (sic) und forsche nach, welche der relevanten politischen Ideologien darin keine Erwähnung findet. Aufgeführt werden im derzeit noch aktuellen VSB 2021: Rechtsextremismus, „Reichsbürger“, „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, Linksextremismus und Islamismus. Die Leitideologie der BRD, der Liberalismus, fehlt vollständig. Der Politikwissenschaftler Martin Wagener wies in seinem Buch Kulturkampf um das Volk (2021) bereits auf den „toten Winkel“ im Bericht hin: die Auslassung des liberalen (und des administrativen) Extremismus.

Der liberale Extremismus als größte Bedrohung unserer Demokratie – das ist eine starke These, eine allzu starke, könnte man meinen. Ich werde sie in diesem Text begründen. Aber zunächst: Was hat das überhaupt mit dem zu tun, worum es hier doch eigentlich gehen soll – der erneuten Anziehung der Repressionsschraube des Staates gegen seine einzige relevante geistige und politische Opposition in Form der Einstufung des Instituts für Staatspolitik, des Vereins Ein Prozent und der Jungen Alternative für Deutschland als „gesichert rechtsextremistisch“? Handelt es sich bei dem staatlichen „Kampf gegen rechts“ nicht einfach um staatliche Gewalt zur Festigung der eigenen Macht? Was hat das mit dem Liberalismus zu tun?

Die Menschenwürde als ideologischer Angriffspunkt und Hebel

Um die Verbindung zwischen beiden Themen zu erkennen, muss man verstehen, wie der Staat sein Vorgehen gegen die rechte Dissidenz begründet. Wer als rechter Akteur diese Begründung nicht kennt, wer sie als irrelevant und vorgeschoben abtut oder sich über sie lustig macht, der hat keinerlei Chance, der Repression zu entgehen; er wird, so wie die Dinge derzeit stehen, von ihr zermalmt werden. Denn der Dreh- und Angelpunkt der Begründung ist die Grundnorm dieses Staates, eine Norm, die an Unbestimmtheit und an Offenheit für ideologische Auslegung beispiellos ist – Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Die Argumentation des Staates geht so: Wer die Bewahrung der ethnokulturellen Identität des deutschen Volkes anstrebt und mit (meta)politischen Mitteln gegen den Großen Austausch kämpft, wer also etwa für eine Migrationspolitik eintritt, die bestimmten Ethnien bestimmte Einwanderungskontingente zuweist, die auch negativ sein können (d.h. Nullzuwanderung bei gleichzeitiger Förderung der Rückwanderung, etwa durch finanzielle Anreize, und Durchsetzung von Ausreisepflichten), der diskriminiere Menschen nach ethnischen Kriterien, handle somit rassistisch und verletze die Würde der betroffenen Personen. Die Menschenwürde aber sei der höchste Wert des Grundgesetzes, keiner Abwägung gegen andere Rechtsgüter zugänglich, sie zu schützen oberste Pflicht des Staates.

Der entscheidende Punkt ist der letztgenannte: Durch den Ansatz bei der Menschenwürdegarantie zieht der Staat jeder herkömmlichen Verteidigungsstrategie der von ihm Angegriffenen den Boden unter den Füßen weg. Denn während jedes normale Grundrecht der Abwägung gegen andere Grundrechte oder Verfassungsgrundsätze unterliegt, auch dann, wenn es (dem Wortlaut nach) vorbehaltlos garantiert ist, gilt dies nicht für die Menschenwürde: Diese steht nach allgemeiner Meinung über allen anderen Rechten: Wie ein Joker sticht sie jeden Konkurrenten aus.

Diese rechtliche Sonderstellung des Art. 1 Abs. 1 GG war sinnvoll, solange sein Anwendungsbereich eng umgrenzt blieb. Ursprünglich diente die Verankerung der Garantie der Menschenwürde im Grundgesetz der Abgrenzung zu totalitären Systemen. Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs sollte für die Zukunft ausgeschlossen werden, dass es erneut zu derartigen staatlichen Verbrechen kommen könnte wie unter dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus. Die Garantie der Menschenwürde sollte also vor allem massivste Angriffe des Staates auf den Menschen ausschließen, etwa brutale staatliche Verfolgung wegen der Rasse oder Religion und Folter.

Doch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weitete den Begriff immer mehr aus, so dass es mittlerweile keine allgemeinen Kriterien mehr gibt, mit denen er erschlossen werden könnte, und ein Verständnis seiner aktuellen Interpretation nur durch Kenntnis der Kasuistik möglich ist. Diese Unbestimmtheit machte den Begriff der Menschenwürde zum leichten Ziel für ideologische Angriffe. Seine einzigartige Stellung in der Normenhierarchie und seine Offenheit für außerjuristische Bezüge prädestinierten ihn zu einem Einfallstor für die Implementierung des liberalen Extremismus in das Rechtssystem.

Dieser, zugleich äußerste Entfaltung und – im Wokismus – Verfallsform des Liberalismus, gesteht ausschließlich dem Individuum einen Wert zu, lässt ausschließlich Rechte des atomisierten Subjekts gelten und ist damit auf vollständige Zerstörung jeder Gemeinschaft angelegt. Durch die Einschleusung dieser Ideologie in den Begriff der Menschenwürde bekam sie mit einem Mal eine ungeheure juristische Schlagkraft. Mit Art. 1 GG hatte sie jetzt den Hebel, den sie brauchte, um die Verteidiger der Bindung an die Gemeinschaft zu vernichten. An der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte der letzten Jahre lässt sich dies ablesen.

Fast uferlos werden inzwischen Forderungen und Zielsetzungen identitärer, patriotischer Vereine und Parteien als Verletzungen der Menschenwürde betrachtet, wenn sich nur irgendein Anknüpfungspunkt für diese Bewertung finden lässt. So reicht es für dieses Verdikt inzwischen aus, dass eine Organisation das Ziel verfolgt — bei völliger rechtlicher Gleichbehandlung eingebürgerter Nichteuropäer mit der deutschen Stammbevölkerung —, diejenigen, die noch nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, durch für sich genommen rechtsstaatlich völlig unbedenkliche Maßnahmen zu Assimilation oder Remigration zu veranlassen — weil die bereits Eingebürgerten dadurch das Gefühl bekommen könnten, als Nichtassimilierte unerwünscht zu sein.

Mit dem Grundgesetz unvereinbar

Der liberale Extremismus bekämpft so die im Grundgesetz angelegte und vom Parlamentarischen Rat gewollte Rechtsordnung von innen, direkt aus ihrem Zentrum heraus. Diese Ordnung verband ursprünglich freiheitliche und gemeinschaftliche Elemente, wie das Bundesverfassungsgericht schon in einer seiner frühen Entscheidungen feststellte. In seinem Urteil vom 20. Juli 1954 zum Investitionshilfegesetz führte es aus:

Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten. Das ergibt sich insbesondere aus einer Gesamtsicht der Art. 1, 2, 12, 14, 15, 19 und 20 GG.

In mehreren weiteren Entscheidungen zu ganz unterschiedlichen Rechtsgebieten machte das Gericht klar, was dies für die Auslegung des Begriffs der Menschenwürde bedeutet und welche Konsequenzen sich für die Pflicht des Staates zu deren Schutz ergeben. Demnach wird die Würde eines Menschen nicht etwa nur dann verletzt, wenn er in einer Weise behandelt wird, die mit seinem Achtungsanspruch als Individuum schlechthin unvereinbar ist. Vielmehr liegt eine Verletzung der Würde auch dann vor, wenn der wesensmäßige Gemeinschaftsbezug eines Menschen missachtet und er sozial isoliert wird. In seinem Urteil zum verfassungsrechtlichen Existenzminimum vom 9. Februar 2010 schrieb das Bundesverfassungsgericht:

Art. 1 Abs. 1 GG erklärt die Würde des Menschen für unantastbar und verpflichtet alle staatliche Gewalt, sie zu achten und zu schützen (vgl. BVerfGE 1, 97 <104>; 115, 118 <152>). Als Grundrecht ist die Norm nicht nur Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates. Der Staat muss die Menschenwürde auch positiv schützen (vgl. BVerfGE 107, 275 <284>; 109, 279 <310>). (…)

Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit (vgl. BVerfGE 120, 125 <155 f.>), als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (vgl. BVerfGE 80, 367 <374>; 109, 279 <319>; auch BVerwGE 87, 212 <214>).

Diese Auslegung bekräftigte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 auch bzgl. des Asylbewerberleistungsgesetzes. Wohlgemerkt: In beiden Entscheidungen ging es nicht um Fallkonstellationen, in denen Menschen auf irgendeine Art aktiv daran gehindert wurden, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Vielmehr sah das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung der Würde der Sozialleistungsbezieher bereits darin, dass der Staat bei der Zuteilung seiner Geldleistungen keinen oder einen zu geringen Betrag für die Teilnahme an entgeltlichen gesellschaftlichen Veranstaltungen einberechnet hatte.

Man kann diese Rechtsprechung mit guten Gründen für verfehlt halten, weil sie die Menschenwürde zum Kleingeld im juristischen Tagesgeschäft macht. Aber uns gibt sie im Abwehrkampf gegen die liberalextremistische Repression ein starkes Argument in die Hand, indem sie die Eingebundenheit des Menschen in seine Gemeinschaft in die Garantie der Menschenwürde einbezieht. Wenn es schon eine Würdeverletzung ist, einem Asylbewerber die finanziellen Mittel vorzuenthalten, die er – nach Befriedigung sämtlicher materieller Bedürfnisse – für die Teilnahme an kostenpflichtigen Veranstaltungen benötigt, dann ist die Schaffung gesellschaftlicher Verhältnisse, die den Menschen das zum Zusammenleben notwendige Grundvertrauen nehmen und damit seine Einbindung in die Gemeinschaft nachhaltig beschädigen, erst recht mit der Garantie der Menschenwürde unvereinbar.

Die liberale Migrationspolitik verletzt die Menschenwürde

Genau dies ist nämlich eine der Folgen der von den liberalen Antieliten betriebenen Migrationspolitik. Der britische Entwicklungsökonom Paul Collier hat sich eingehend mit den Auswirkungen starker Migration sowohl auf die Auswanderungs- als auch auf die Einwanderungsgesellschaften beschäftigt. In seinem Buch Exodus legte er ausführlich dar, dass zwar eine maßvolle Einwanderung positive Effekte haben kann, eine die Integrations- und Assimilationsfähigkeit der Aufnahmegesellschaft übersteigende Einwanderung jedoch zerstörerisch wirkt. Derjenige Effekt, der an dieser Stelle hervorgehoben werden soll, ist der einer Zerstörung von Vertrauen. Collier schreibt:

Der anerkannte Sozialwissenschaftler Robert Putnam aus Harvard, der führende Vertreter des Konzepts des »sozialen Kapitals«, hat anhand einer großen US-amerikanischen Stichprobe die Auswirkungen der Einwanderung auf das Vertrauen untersucht. Eines seiner Ergebnisse war, so beunruhigend es ist, bekannt: Je größer der Einwandereranteil in einer Gemeinde, desto geringer das Vertrauen zwischen Einwanderern und Einheimischen. Mit anderen Worten: Die Nähe führt nicht zu einem größeren gegenseitigen Verständnis, sondern zu mehr Misstrauen. Diese Beziehung ist vielfach untersucht worden, und Putnams Ergebnisse stimmen mit denen der Mehrzahl anderer Studien auf diesem Gebiet überein.

Doch Putnams Untersuchung hatte auch ein völlig neues Ergebnis, das noch viel besorgniserregender ist: Je mehr Einwanderer in einer Gemeinde leben, desto geringer wird das Vertrauen nicht nur zwischen den verschiedenen Gruppen, sondern auch innerhalb der Gruppen. Ein hoher Einwandereranteil führt zu einem geringeren gegenseitigen Vertrauen unter den einheimischen Mitgliedern der Gemeinde, und aufgrund der Bedeutung des Vertrauens für die Kooperation ist es kaum anders zu erwarten, dass das geringere Vertrauen in vielerlei Formen reduzierter Kooperation zutage tritt.

Paul Collier, Exodus

Diejenige Gemeinschaft, in die der Mensch unter glücklichen Umständen eingebunden ist und die sein wesensmäßiges Bedürfnis nach dem Mit-Sein (Heidegger) stillt, ist das Volk. Hier liegt eine tiefe und unaufhebbare Verbindung zwischen den Menschenrechten und den Rechten der Völker. Wer die Integrität und die Identität eines Volkes zerstört, der zerstört damit eine Grundbedingung der menschlichen Existenz und am Ende den Menschen selbst. Dieser Zusammenhang war den Verfassern der Charta der Vereinten Nationen und der anderen Konventionen und Resolutionen, die dem Schutz der Völker höchste Priorität zumessen, bewusst. Für sie war klar: Wer die Würde der Menschen schützen will, der muss die Identität und Integrität der Völker bewahren.

Unsere Würde verteidigen

Der ideologische Kern des Kampfes gegen rechts und damit auch der aktuellen Repression gegen die Junge Alternative, Ein Prozent und das Institut für Staatspolitik durch den Verfassungsschutz liegt im extremistischen Liberalismus. Dieser ist der Feind nicht nur unseres Volkes, sondern auch unserer Menschenwürde. Nur wenn die Rechte – von der intellektuellen Avantgarde bis zum letzten AfD-Hinterbänkler – dies begreift und ihren geistigen und politischen Kampf darauf ausrichtet, kann sie unser Volk und zugleich unsere Würde erfolgreich verteidigen.

Der Verfasser Gerhard Vierfuß vertrat als Rechtsanwalt von 2017 bis 2022 die Identitäre Bewegung Deutschland in ihrem Rechtsstreit mit der Bundesrepublik Deutschland wegen der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Auf Twitter ist er unter @DerRechteAnwalt zu finden.

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