Der heutige 8. Mai gilt in der öffentlichen Wahrnehmung als „Tag der Befreiung“. Doch für Millionen von Volksdeutschen begann damit ein grausames Martyrium. Der Autor Peter Wassertheurer schildert in seinem Roman „Heute aber braucht mich die Heimat“ zahlreiche Schicksale, die davon erzählen, dass der 8. Mai 1945 auch ganz anders erlebt wurde. Am Heimatkurier stellen wir aus aktuellem Anlass einige Textbeispiele aus dem Roman vor.
Ein Beitrag von Dr. Peter Wassertheurer
Der 8. Mai gilt als Tag der Befreiung und als Tag der Kapitulation des Dritten Reichs. Am 8. Mai 1945 endete zumindest auf europäischem Boden der Zweite Weltkrieg. Für Millionen von Volksdeutschen aber begann das eigentliche Martyrium erst nach diesem Datum. Die Verbrechen, die an ihnen begannen wurden, bleiben nach wie vor von der öffentlichen Wahrnehmung ausgrenzt. Hier ist die Rede von jenen deutschen Volksgruppen, die nach einer Jahrhunderte langen Geschichte entrechtet und enteignet aus ihren angestammten Heimatgebieten in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa vertrieben wurden: Für sie gab es keinen Tag der Befreiung. Auf die Sudetendeutschen, Schlesier, Donauschwaben, West- und Ostpreußen, Ungarndeutschen, Siebenbürger Sachsen, Gottscheer, die Deutschen Pommerns oder Deutsch-Untersteirer warteten nämlich ganz andere Tage – Tage mit Mord und Totschlag, Vergewaltigung und Schändung.
Völkermord und Zwangsarbeit
Was am 8. Mai von offizieller Seite bewusst verschwiegen wird, war, um anerkannte Völkerrechtsexperten wie Felix Ermacora oder Dieter Blumenwitz zu nennen, ein Völkermord. Am 8. Mai tobte in Prag ein mörderischer Aufstand gegen die Deutschen, der sich in Windeseile auf die sudetendeutschen Gebiete erstreckte. Selbst tschechische Historiker sprechen heute von einem Blutsommer 1945. Brünn, Aussig, Postelberg, Saaz, Pilsen, usw. sind Orte, wo es nach dem Tag der Befreiung zu schrecklichen Mordorgien gegen Sudetendeutsche kam. Auch in Titos Lagern starben nach dem 8. Mai 1945 immer noch tagtäglich Hunderte von Donauschwaben an Krankheit, Hunger oder durch die Hand ihrer kommunistischen Mörder. Bis ins Frühjahr 1948 sollten diese Lager im neuen kommunistischen Jugoslawien bestehen.
Schuften im Gulag
Ebenso leisteten Zehntausende von Volksdeutschen in Stalins Gulag Zwangsarbeit. Sie waren bereits Monate vor Kriegsende etwa aus dem rumänischen Banat oder aus Ungarn in die Sowjetunion zwangsdeportiert worden, wo sie unter unmenschlichsten Bedingungen bei Hunger und Kälte schuften mussten. Ihr Leidensweg überlebte ebenso den Tag der Befreiung und dauerte oftmals bis Jahre nach dem 8. Mai 1945. Um die Tragödie der Volksdeutschen dem Vergessen zu entreißen, habe ich den Roman Heute aber braucht mich die Heimat geschrieben. Auf 700 Seiten werden volksdeutsche Schicksale vorgestellt, Schicksale, die davon erzählen, dass der 8. Mai 1945 auch ganz anders erlebt wurde. Ich darf Ihnen als Autor hier aus aktuellem Anlass einige Textbeispiele vorstellen.
Prager Aufstand (Auszug)
(…) Zwei junge SS-Männer, vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt, lagen auf der anderen Straßenseite am Boden, umringt von vier Soldaten, die mit Peitschen und Stöcken auf sie einschlugen. Blutüberströmt wälzten sie sich vor Schmerzen, unfähig, den Hieben auszuweichen. Dutzende Tschechen standen auf der Straße oder lehnten aus den Fenstern, klatschten Beifall, lachten, wann immer eines der Opfer aufjaulte, und verfolgten mit Schadenfreude diese Marterung. Zu meiner großen Enttäuschung entdeckte ich auch Alina und ihre Eltern unter den Schaulustigen. Mit Stiefeln traten die Soldaten so lange den Burschen in die Bäuche, bis einer der beiden Blut erbrach. Er hatte blonde Haare, kurz geschorene blonde Haare. Die SS-Uniformen waren vom vielen Blut regelrecht rot gefärbt. Dann schleiften sie beide Körper über die holprigen Pflastersteine zu zwei Laternenmasten.
Die Polizisten, die mich abführten, hielten an. Sie wollten sehen, was da passiert. Sie führten mich zum Ort dieses grauslichen Verbrechens. Ich hoffte nur, dass die beiden SS-Männer bereits tot waren, oder dass man sie zumindest ins finstere Koma geprügelt hatte, um diese Qualen nicht mehr ertragen zu müssen. Mit dem Kopf nach unten wurden sie schließlich an den Masten hochgezogen. Regungslos baumelten die geschundenen Körper nach unten. An den Haaren klebte Blut, hin und wieder fiel ein Tropfen auf den steinigen Boden. Mir wurde schlecht, sogar ein Schwindel packte mich. Es kostete Kraft, auf den Beinen zu bleiben. Mich beschlich eine furchtbare Ahnung. Robert! Ich wehrte mich mit aller Kraft gegen die Vorstellung, die Tschechen hätten die letzte Nacht Ähnliches mit ihm aufgeführt. Bestimmt, so zimmerte ich mir mit den Gedanken ein Wunschgebäude zusammen, hatten sie ihn nur verhört, und dabei war klar geworden, dass er sich in den letzten sechs Jahren nie unanständig, illoyal oder gar verbrecherisch verhalten hatte.
Ein Kanister Benzin und eine Leiter wurden herbeigeschafft. Die Soldaten wetteiferten darum, wer die Leiter hinaufklettern durfte. Ein Los brachte die Entscheidung. Der Abscheu stieg mir säuerlich auf. Es war kaum auszuhalten. Schließlich stieg einer die Leiter hoch, den Kanister in der Hand. Er hatte die obersten drei Sprossen erklommen, da goss er das Benzin über die leblosen Körper. Die Uniformen saugten die brennbare Flüssigkeit auf, die den ganzen weiten Weg von den Stiefeln abwärts über die Beine, die Hüfte und den Brustkorb bis zu den Haaren rann. Der Treibstoff wusch das Blut aus ihren Gesichtern. Die Haare schimmerten ähnlich im Licht der Sonne wie die viereckigen Pflastersteine, auf die diese giftig rote Essenz tropfte. Kaum war der mit dem Kanister von der Leiter gestiegen, zündeten sie den Brandbeschleuniger an. Die züngelnden Flammen fraßen sich in Windeseile nach oben. Der mit Benzin durchtränkte Stoff der Uniformen brannte lichterloh, eingehüllt in eine schwarze Rauchwolke, aus der die Flammen hervorschossen. Ich senkte meinen Kopf, drückte das Kinn mit Gewalt gegen das Brustbein, so dass ich das pulsierende Echo meines Herzschlags spüren konnte. Der schwefelige Gestank verbrannter Haare hauchte mir entgegen. Die tschechischen Zuschauer brachen in Jubel aus (…)
Brünner Todesmarsch (Auszug)
(…) Mehr als 6000 blieben jedoch in Pohrlitz zurück. Sie konnten unmöglich weiter, waren krank, die Torturen des Vortags und dieser Nacht hatten die Kraft aus ihren Gliedern gesaugt. ‚Erschießt mich, aber ich gehe keinen Schritt mehr weiter‘, wehrte ein älterer Mann einen Tschechen ab, der versucht hatte, ihn mit Schlägen aufzutreiben. Es war erbärmlich, was sich vor mir abspielte. Ich dachte an Fronleichnam und fühlte mich an das Leiden Christi erinnert und an die Lehre, dass das Leiden die höchste christliche Tugend sei und einer höheren Bestimmung folge, um den Menschen von seiner Schuld zu befreien. Mich quälten Zweifel, weil ich in diesem Unglück unmöglich den Willen einer göttlichen Macht erkennen konnte.
Die Autorität, die ich sah, waren mordende und prügelnde Tschechen, denen niemand Einhalt gebot. Sie konnten ihre schlechtesten Triebe befriedigen, sie durften ungestraft ihr mörderisches Handwerk ausüben, Unschuldige schlachten, quälen, töten, ohne dass ihnen jemand Einhalt gebot. Der Weg von Brünn nach Pohrlitz war mit Leichen, mit leblosen, geschundenen und entstellten Körpern übersät. Über Nacht hatte der feige Regen die Straße von den Spuren dieses Pogroms befreit und das Blut in das Erdreich gespült, aber die Hitze des Sommers dunstete die Leiber auf, und der Geruch des Todes schwebte wie eine Pest über die Wiesen und Äcker (…)
Morde von Saaz (Auszug)
(…) Hinter mir lag das Waldstück, das ich mit den anderen durchquert hatte, ohne es richtig wahrgenommen zu haben. Vor mir erschien ein Feld. Bunte Wiesenblumen hockten eingebettet zwischen Grasbüscheln. Die Exekutionen waren eine Angelegenheit von Sekunden, schnell und sauber liefen sie ab. ‚Hinknien.‘ Die kalten Pistolenläufe berührten die hinteren, schweißnassen Teile der Hälse, die Mörder drückten ab. Es war nur eine lächerliche Fingerbewegung, und schon war ihre Arbeit erledigt. Wir sechs anderen mussten dann eine Grube ausheben. Das war also der Grund, weshalb wir mitkommen mussten. Wir waren die Totengräber.
Gnadenlos rammte ich die eiserne Spitze des Pickels in das Erdreich, im Augenwinkel ruhten die Leichen, deren Halswirbel von den Kugeln wie Wallnüsse aufgeknackt worden waren. Ein totes Gesicht schaute mich an. Vorne hing das blonde Haar tief in die Stirn, und es glich dem Gesicht eines Schlafenden, so viel Ruhe lag in den Zügen. Was war das Verbrechen dieses jungen Mannes gewesen? Welches Unrecht hatte er begangen, das seine Hinrichtung rechtfertigte? Dieses tote Gesicht verriet nichts Böses. Wut und eine betäubende Verzweiflung paarten sich mit Trauer, wie ein Besessener riss ich dem Boden die Haut herunter.
Ich presste die Zähne zusammen, rollte die Zunge, um meinen ungezügelten Worten den Ausgang zu versperren, die ich den Tschechen entgegenschleudern wollte. Meine Lippen waren schwach, sie neigten zur Unüberlegtheit, aber die Vernunft konnte sie zügeln. ‚Ihr feigen Hunde‘, stammelte ich so leise, dass es niemandem auffiel. Zwei Stunden lang schufteten wir, schweißgebadet legten wir dann die Leichen in dieses Grab und deckten sie mit der feuchten, frischen Erde zu (…)
Massaker von Prerau (Auszug)
(…) Die ersten acht Frauen knieten am kalten Boden. Beim Anblick der ermordeten Männer sackten sie zusammen und mit einem Mal entluden sie sich ihrer angestauten, von Todesängsten angenagten Gefühle. Heftige Weinkrämpfe brachten ihre Körper zum Beben. Die Schreie aus ihren Kehlen erzeugten kein Erbarmen, vielmehr heizten sie die Mordlust der Soldaten an. Frauen, die um ihr Leben bettelten und den Soldaten ihre nackten Brüste anboten, wurden verlacht, verspottet, bespuckt. Jene, die hysterisch kreischend um ihr Leben kämpften, die Soldaten kratzten oder bissen, wurden misshandelt und an den Haaren oder Armen zur Grube gezogen.
Es war grauenhaft, diese Mordorgie mitverfolgen zu müssen. Die Tschechen gerieten in einen regelrechten Blutrausch. Jeder von ihnen konnte sich austoben, denn es waren über einhundertzwanzig Frauen, die es zu exekutieren galt. Es waren für jeden genug Frauen da, junge und alte, hübsche und weniger attraktive, für jeden Geschmack gab es eine oder sogar mehrere. Um die Grube herum spielten sich tumultartige Szenen ab. Die Luft roch nach verbranntem Schießpulver und sie ächzte unter dem Ausmaß dieser nicht enden wollenden Gewalt.
Die Ermordung von einhundertvierundzwanzig Frauen dauert, wie ich heute weiß, lang, sie ist mühselig und kräfteraubend. Es ist schwer, Menschen, die in Panik geraten, unter Kontrolle zu halten. Nicht alle Frauen wurden mit einem gezielten Genickschuss der Ewigkeit übergeben. Vielen schossen die Soldaten in den Bauch oder in die Schultern, anderen wiederum verpassten sie einen Stich mit dem Messer oder rammten ihnen den Gewehrschaft ins Gesicht. Schwer verletzt und ohnmächtig kippten sie ins Loch. Ich sah, wie Soldaten blutrünstig in die Grube zielten und abdrückten. Sie veranstalteten ein regelrechtes Wettschießen. Irgendwann hielt ich mir die Ohren zu, weil ich diesen Lärm nicht mehr aushielt.
Mit den Kindern wurde noch grausamer verfahren. Die Säuglinge warf man den sterbenden Müttern lebendig in das Grab hinterher. Dort versanken ihre winzigen Leiber im zähen Blutschlamm. Das Jüngste war erst sieben Monate alt. Den größeren Kindern schlug man die Schädel ein und schmiss sie den Erwachsenen nach. Noch während Kinder auf ihre Hinrichtung warteten, begannen andere Soldaten damit, das Loch zuzuschütten. Pazúr trieb seine Soldaten an. Die droschen und stachen einfach nur mehr blind auf die Kleinen ein. Das Morden lief wie an einem Fließband ab. Die gemarterten Körper landeten wie Abfall in diesem Loch, das sich mehr und mehr füllte. Schon ragten die ersten Arme hervor. Sie bewegten sich, denn viele waren nur bewusstlos und mussten dann qualvoll ersticken. ‚Macht dieses Loch endlich zu‘, keifte Pazúr wild (…)